
Wolf Lepenies, Dr. Dr. h.c. mult.
Rektor des Wissenschaftskollegs (1986–2001), Professor (em.) der Soziologie
Freie Universität Berlin
Geboren 1941 in Deuthen, heute Polen
Studium der Soziologie, Philosophie und Publizistik in München, Münster und Berlin
Arbeitsvorhaben
Charles de Gaulle und sein politisches Erbe
Das politische Erbe Charles de Gaulles prägt bis heute den Doppel-Hegemon Deutschland-Frankreich, erinnert an seine Warnung vor einem unkritischen Vertrauen Europas in die Schutzmacht Amerika und legt es nahe, gegenüber der EU-Bürokratie dem „Europa der Nationen“ einen größeren Stellenwert zu geben. In mehreren Schritten will ich die europapolitische Aktualität dieses Erbes aufzeigen.1. Von Charles de Gaulle und Konrad Adenauer geprägt, wurde die Entwicklung der Europäischen Union weniger von den hegemonialen Ambitionen Deutschlands als vielmehr von einem deutsch-französischen Doppel-Hegemon bestimmt.
2. Als der deutsche Bundestag bei der Ratifizierung des Élysée-Vertrags von 1963 in einer Präambel die atlantische Orientierung der Bundesrepublik hervorhob, war Charles de Gaulle davon tief betroffen: „Die Ehe wurde nicht vollzogen“, lautete sein bitterer Kommentar. Die genannte Präambel motivierte de Gaulle noch stärker, das zusammenwachsende Europa vor einem zu engen Schulterschluss mit den USA zu warnen und den Kontinent zu mahnen, selbstbewusst seine eigenen, nicht zuletzt militärischen Stärken weiterzuentwickeln. In den gegenwärtigen Zeitenwenden können de Gaulles Worte nicht anders als prophetisch klingen.
3. Emmanuel Macron verkörpert das monarchische Element der V. Republik wie kein anderer Präsident vor ihm – und missachtet zugleich, dass sich in den Vorstellungen de Gaulles die präsidiale Macht im Konfliktfall durch das Plebiszit legitimieren muss. Dadurch hat der „halbe Gaullist“ Macron seine innenpolitische Legitimation erheblich geschwächt – und damit auch seinen außenpolitischen Einfluss reduziert.
4. In der Außenpolitik ein treuer Erbe de Gaulles, entwarf Macrons „Initiative für Europa“ die Vision eines souveränen, geeinten und demokratischen Europa. Berlin reagierte darauf mit routiniert vorgetragener realpolitischer Skepsis. Jetzt zeigt sich, dass im gaullistischen Pathos Macrons mehr realpolitische Voraussicht enthalten war als in der deutschen Skepsis. Die Folge ist ein Bedeutungsverlust des Doppel-Hegemons: Die europäischen Weichenstellungen werden jetzt weniger von einer Achse Paris-Berlin als vielmehr von einer englisch-französischen Entente cordiale bestimmt.
Lektüreempfehlung
Lepenies, Wolf. Die Macht am Mittelmeer: Französische Träume von einem anderen Europa. Hanser, 2016. Französisch: Le Pouvoir en Méditerranée: Un rêve français pour une autre Europe. Übersetzt von Svetlana Tamitegama. Éditions de la Maison des sciences de l’homme, 2020.
—. “Germany and France—The Elusiveness of a Joint Hegemony.” In Discussing Pax Germanica: The Rise and Limits of German Hegemony in European Integration, herausgegeben von Emmanuel Comte und Fernando Guirao, 75–91. Routledge, 2025.
Köpfe und Ideen 2014
Vernünftige Bürgerlichkeit. Wolf Lepenies, Europa und das Mittelmeer
ein Porträt von Wolf Lepenies von Gunter Hofmann
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Lepenies, Wolf (Berlin, 2022)
Polen und Ukraine : Verflochtene Geschichte, geteilte Erinnerung in Europa Essays of the Forum Transregionale Studien ; 2022, 9
Lepenies, Wolf (München, 2016)
Die Macht am Mittelmeer : französische Träume von einem anderen Europa
Lepenies, Wolf (2014)
Von der notwendigen Untreue der Übersetzungen : Laudatio auf Eva Moldenhauer und Bernard Lortholary
Lepenies, Wolf (Berlin, 2013)
Royaldemokratie und Gründercharisma : Peter Wapnewski und das Wissenschaftskolleg
Lepenies, Wolf (Berlin, 2012)
Exile and binationalism Carl Heinrich Becker lecture der Fritz Thyssen Stiftung ; 2011 = [5]
Lepenies, Wolf (2010)
Einleitung zur ersten Carl Heinrich Becker Lecture der Fritz Thyssen Stiftung
Lepenies, Wolf (2010)
Lepenies, Wolf (München, 2010)
Auguste Comte : die Macht der Zeichen Edition Akzente
Lepenies, Wolf (Berlin, 2010)
Lepenies, Wolf (Berlin, 2009)
Wissenschaftskolleg zu Berlin - Institute for Advanced Study : Verleihung des Anna Krüger Preises an Martin von Koppenfels am 18. Februar 2009 Verleihung des Anna Krüger Preises an Martin von Koppenfels am 18. Februar 2009