Call for Papers Blankensee-Colloquien
Meinungsfreiheit: Transformation und Regulierung politischer Öffentlichkeiten
Bewerbungsschluss: 30. September 2023
Der interdisziplinäre Workshop setzt es sich zur Aufgabe, die Bedeutung der Meinungsfreiheit für eine gelingende demokratische Öffentlichkeit neu zu durchdenken. Er geht von der Beobachtung aus, dass sich die Strukturen politischer Öffentlichkeit im letzten Jahrzehnt dramatisch verändert haben, die Reflexion der Meinungsfreiheit und ihrer Funktion für eine demokratische Öffentlichkeit mit diesen Herausforderungen aber nicht in gleicher Weise Schritt gehalten hat. Die Problemdiagnosen von Fake News über Hate Speech bis zur Macht der neuen sozialen Plattformen häufen sich, aber ihre Rückwirkungen auf die Vorstellung freier Rede bleiben unklar. Im Resultat scheint die Kategorie der Meinungsfreiheit in der Auseinandersetzung mit gegenwärtigen Herausforderungen auf den ersten Blick wenig beizutragen. Das macht es erforderlich, noch einmal neu nach Legitimation, Bedeutung und Grenzen der verfassungsrechtlichen Garantie freier Rede zu fragen.
Zu diesem Zweck sollen im Workshop Perspektiven aus der Philosophie, dem Verfassungsrecht, den Politikwissenschaften und anderen relevanten Fächergruppen zusammengeführt und durch Erkenntnisse aus der Kognitionspsychologie, der Medienökonomie und der praktischen Informatik ergänzt werden.
Der Workshop sieht eine grobe Dreiteilung der Fragestellung in die folgenden Themenblöcke vor:
I. Die Freiheit der Meinung
Der Workshop soll mit einer interdisziplinären Grundlagendiskussion über das normative Konzept der Meinungsfreiheit beginnen. Die Vorstellung von Meinungsfreiheit und free speech gehört zum traditionellen Kern liberal-demokratischer Verfassungsordnungen, aber bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass das Konzept in verschiedenen Hinsichten klärungsbedürftig ist:
- Was sollte „Meinung“ in „Meinungsfreiheit“ heißen? Was schützt Meinungsfreiheit eigentlich genau?
- Wie unterscheidet sich Meinungsfreiheit von free speech?
- Welche gesellschaftliche Funktion soll Meinungsfreiheit erfüllen? In welchen Zusammenhängen wird der Begriff eingesetzt (politische, juristische, gesellschaftliche Debatten) und welche Anforderungen an den Begriff ergeben sich daraus jeweils?
- Worin genau besteht der häufig schlagwortartig postulierte Zusammenhang zwischen Meinungsfreiheit und Demokratie?
- Was bedeutet es, Meinungsfreiheit als Recht zu konzipieren?
- Wer sollte Meinungsfreiheit wem gegenüber geltend machen können?
- ...
II. Grenzen der Meinungsfreiheit
In einem zweiten Schritt wird sich der Workshop dem Regulationsbedarf von Meinungsäußerungen zuwenden. Geht mit den Veränderungen von Diskursräumen auch der Bedarf nach Regulation von Meinungsäußerungen einher? Im zweiten Block sollen diese Zusammenhänge ausgeleuchtet werden:
- Welche gesellschaftlichen Entwicklungen legen eine stärkere bzw. schwächere Regulation von Äußerungen nahe? Verlangen etwa die technischen Bedingungen der Kommunikation nach engeren Grenzen für die Meinungsfreiheit?
- Was folgt aus den standardisierten Diagnosen (digitalisierte Öffentlichkeiten, Desinformation & Fake News, Verrohung der politischen Auseinandersetzung & Hate Speech), wenn sie zutreffen, für die Meinungsfreiheit?
- Auf welcher Ebene sollte Regulation ansetzen bei individuellen Äußerungen, beruflichen Sorgfaltspflichten oder der Struktur und Funktionsweise ökonomischer Märkte?
- Welche Grenzen ergeben sich aus der Freiheit von Meinungen für die Regulation von Desinformation?
- Sollten die Grenzen der Meinungsfreiheit (wie bislang) vor allem aus dem Schutz konkurrierender Rechte entwickelt werden? Ergibt sich etwa aus der Vorstellung verletzender Sprechakte eine sinnvolle Begrenzung der Meinungsfreiheit?
- Welchen effektiven Mechanismen der Selbstregulierung unterliegt die Meinungsfreiheit? Welche Exklusionseffekte etwa bringt die freie Rede hervor?
- ...
III. Praxen und Strategien der Regulation
Der dritte Block soll tatsächliche oder diskutierte Regulationsstrategien in den Blick nehmen: nationale oder unionsrechtliche Gesetze zur Regulierung von Äußerungen, neue Methoden der Rechtsdurchsetzung, Community Standards, Nudging-Strategien etc. Dabei kann sowohl die rechtliche als auch die kognitionspsychologische oder technische Seite in den Blick genommen werden:
- Inwiefern ist/wäre die Meinungsfreiheit durch Regulationsstrategien berührt?
- Welche praktischen oder technischen Hindernisse stellen sich bei einzelnen Regulierungsansätzen?
- Welche psychologischen Voraussetzungen menschlicher Weltwahrnehmung und Interaktion muss eine Regulation berücksichtigen oder kann sie sich zunutze machen?
- ...
Der Workshop findet vom 20. bis 22. März 2024 am Wissenschaftskolleg zu Berlin statt. Interessierte werden gebeten, eine kurze Skizze (300-500 Wörter) eines möglichen Beitrags bis zum 30. September 2023 an
reguliertes.sprechen2024(at)hu-berlin.de zu senden.
Dr. Romy Jaster, Institut für Philosophie, Humboldt-Universität zu Berlin romy.jaster(at)hu-berlin.de
Dr. Christian Neumeier, Juristische Fakultät, Humboldt-Universität zu Berlin christian.neumeier(at)hu-berlin.de
